Space / Agency – Motive, Praktiken und Zustände der Immersion

Doomscrolling in der Timeline, Filmrezeption im IMAX oder hypnotische Bilderströme in einem Multimedia-Environment; Das Projektseminar beschäftigt sich mit Immersion als Wahrnehmungstechnik: Studierende erproben immersive Environments, diskutieren Anwendungsbeispiele aus unterschiedlichen Disziplinen und analysieren die ambivalenten Politiken der Immersion – die Macht der Methode und die Macht der Konzerne. Die subjektive Empfindung, in eine (multi-)mediale Umgebung hineingezogen und absorbiert zu werden, kann mit Zerstreuung, Empathie und Erkenntnissen verbunden oder als Vereinnahmung, Kontrolle und Manipulation gewertet werden. In sozialmedialen Umgebungen wirkt der algorithmische Flow als Verstärker, in audiovisuellen Installationen etwa sind es 360-Grad-Projektionen und multidirektionale Soundsysteme. Zu den klassischen künstlerischen Materialien der Immersion gehören Wasser, Dampf und Licht oder illusionistische Techniken wie Unschärfe. Zu den neueren zählen Virtual Reality, virtuelle Räume, Videokonferenzen, Gaming oder Social Media. Präsenz geschieht in diesen ‚synthetischen Situationen‘ technologisch vermittelt. Welche Effekte nehmen wir bewusst wahr, was bleibt unsichtbar im Code? Welche neuen Beziehungen entstehen hier zwischen Menschen, Bildern und Maschinen?

Dabei hängt der Grad des Eintauchens nicht notwendiger-, aber üblicherweise von der verwendeten Technologie ab: Zwar ist „Doomscrolling“ eine Art des Informationskonsums, der sich kategorial von der Interaktion etwa beim Gaming in einer VR-Umgebung unterscheidet, und doch ist der immersive Effekt vergleichbar. Auch unterscheiden sich die technologischen Umgebungen fundamental voneinander, eine Social-Media-Timeline etwa von den Plänen des „Metaverse“, die Mark Zuckerberg zuletzt vorgestellt hat. Mit VR-Technologien wird ein neues Paradigma des Sehens eingeführt: Der Körper der Agierenden verschwindet im 360-Grad-Bildraum, obwohl er das immersive Zentrum bildet – die Projektion auf ihre Position und Bewegungen abgestimmt.

Wie taucht (umgekehrt) die Technologie in unseren Alltag und unsere Körper ein, und welche Schlüsse lassen sich aus diesem Umstand ziehen? Kann das Datensammeln durch Sensoren in unseren Mobiltelefonen auch als Immersion verstanden werden? Wie können wir uns mit dem reziproken Eintauchen von Technologien in unsere Umgebungen auseinandersetzen, wenn sie mit menschlicher Sensorik nicht wahrnehmbar ist? Wie sind invasive Mikrokameras der Medizin in diesem Kontext zu verstehen? Oder Walkie-Talkies, die auf einen Backenzahn passen? Was bedeutet es, wenn Raumfahrtagenturen mittels VR-Technologie Satelliten reparieren, Kosmos und Erde visualisieren oder Astronaut*innen trainieren? In Einzel- und Gruppenprojekten setzen sich Studierenden der Technischen Hochschule Nürnberg und  der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg mit diesem vielschichtigen Themenenkomplex auseinander. Ihre Arbeiten werden im Rahmen der Gruppenausstellung The Power of Immersion vom 20.10. bis 16.11. in der Akademie Galerie Nürnberg gezeigt.

Projektleitung:

Das Projektseminar und die Ausstellung werden betreut von Dr. Vera Tollmann. Sie ist seit Oktober 2021 Gastwissenschaftlerin an der Leuphana Universität, war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hildesheim am Institut für Theater, Medien und populäre Kultur (2019-2022) und an der Universität der Künste, Berlin (2015-2017) in der Klasse von Hito Steyerl. Nach ihrem Studium der Kulturwissenschaften hatte sie verschiedene Jobs als redaktionelle oder kuratorische Assistenz bei dem Wiener Magazin Springerin – Hefte für Gegenwartskunst, bei der Kulturstiftung des Bundes in Halle an der Saale, dem Medienkunstfestival transmediale und der documenta 12. Zusammen mit Merle Radtke hat sie die Ausstellung „Sensing Scale“ (Kunsthalle Münster, 2021) kuratiert. 2020 promovierte sie zum Thema „Sicht von oben. Powers of Ten und Bildpolitiken der Vertikalität“ an der Hochschule der Bildenden Künste in Hamburg, eine überarbeitete Fassung erscheint 2022 bei Spector Books.