Phantom Zone
Eine Tanzperformance im öffentlichen Raum wird durch Augmented-Reality-Elemente interaktiv erweitert und baut so ein künstlerisches Spannungsfeld zwischen digitalem und realem Geschehen auf. Wie wirkt sich der Gebrauch digitaler Medien auf unsere Wahrnehmung der Realität aus? Dieser Frage wurde im Projekt „Phantom Zone“ durch die Verbindung von digitaler Technik mit dem Medium Körper nachgegangen.
Alice im Wunderland„Vor Neugierde brennend, rannte Alice dem weißen Hasen nach, und kam noch zur rechten Zeit, um ihn in ein großes Loch unter der Hecke schlüpfen zu sehen. Im nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte.“
Am Abend des 16. November 2019 versammelten sich 50 Neugierige am Künstlerhaus im KunstKulturQuartier Nürnberg, um den Spuren von Alice im Wunderland zu folgen. Ein digitaler weißer Hase, mithilfe einer Augmented-Reality-App in die (scheinbar) reale Welt integriert, führte sie knapp 150 Meter vom Künstlerhaus über die Königstormauer zu den Toren der St.-Martha-Kirche. Im Inneren erwartete die Besucher*innen die „Phantom Zone“: eine frei begehbare, interaktive Installation und Performance an der Schnittstelle zwischen Real und Virtuell, Analog und Digital. Drei Live-Darsteller prägten den Abend. Neben dem professionellen Tänzer Johannes Walter und dem Bühnenschauspieler Max Rohland gab Pepper sein Debüt – ein humanoider Roboter, dem von Simon Seibt von der Technischen Hochschule Nürnberg Leben eingehaucht wurde.
Regie führten jedoch die Besucher*innen selbst: Mithilfe einer Augmented-Reality-App hatten sie die Möglichkeit, die Realität – so wie sie auf dem eigenen Display ihres Smartphones oder Tablets erschien – zu verändern, zu ergänzen oder gar auszutauschen – und so zu Schöpferinnen ihrer eigenen Realität zu werden. Dazu wurden sogenannte „Marker“ eingesetzt, welche der App sowohl die Position des virtuellen Objekts mitteilte, als auch inhaltlich abgestimmte Funktionen freischalteten. Die Besucher*innen und Darsteller bewegten sich dabei frei durch eine surreale Traumwelt von Maria Pfeiffer aus Goldenen Ballons und aufblasbaren Schwimminseln.
Die digitale Wahrnehmung des menschlichen Körpers stand im Fokus der Performance. Denn unsere digitalen Augen lügen: Trotz Smartphone-Kameras, die unseren Gesichtszüge automatisch und ohne unser Wissen hin zu mehr Symmetrie optimieren, und Apps, die unser digitales Erscheinungsbild als Objekt ständiger Perfektionierung begreifen, bleibt unser realer Körper immer erhalten. Nur als was? Als reine Fehlerquelle oder – im Angesicht dieses religiösen Ortes – doch von Natur aus perfekt? Die Performance wurde zur Assoziationsfläche für die Besucher*innen und thematisierte den gesellschaftlichen Umgang mit menschlichen Schwächen, Fehlern und dem Scheitern. Die Zuschauer*innen – beziehungsweise die Regisseur*innen – verfolgten und inszenierten zugleich eine intensive körperliche Tanzperformance.
Über Image Marker, die immer wieder neue Funktionen der App freischalteten, konnten sie die Performance individuell verändern und damit auch ihren Blick auf die körperbetonte Performance der beiden Darsteller. Die Meta-Ebene des Stücks war dank der App immer mit dabei: Auf Knopfdruck konnten sich die Besucher*innen jederzeit von den Darstellern ihre ganz persönliche Interpretation ansehen. Dass es nicht nur diese menschliche Perspektive zu Kunst und Leben gibt, verdeutlichte der nächste Akt: Pepper, der humanoide Roboter predigte seine ganz eigene Sicht auf Menschlichkeit und Intelligenz und zeigte sich dabei ebenfalls als Charakter – spätestens, als er zu fluchen begann. Was ist ein Körper? Was macht einen Menschen zum Menschen und eine Maschine zur Maschine? Diese Fragen will „Phantom Zone“ nicht beantworten, vielmehr lässt es die Grenzen weiter verschwimmen. Der Schlussakkord hätte passender nicht sein können. Zunächst in düster-sphärischen, dann in hymnischen Tönen setzten die Darsteller zum Song „Circle of Life“ an und schlossen damit den Kreis und das Stück.
Projektbeteiligte:
-
Alexandra Rauh
Hochschule für Musik, Department Elementare Musikpädagogik/Musikpädagogik , Konzept und Choreografie
-
Gunnar Seidel
Hochschule für Musik, Department Instrumente/Gesang, Konzept und Text
-
Simon Seibt
Technische Hochschule Nürnberg, Fakultät Informatik
-
Eva Eidinger
Kostüm und Ausstattung
-
Johannes Walther
Tänzer
-
Max Rohland
Schauspieler
-
Miho Kasama
Videokunst
-
Ilja Baumann, Natalie Greß, Matthias Hauptner, Deborah Irnstorfer
App-Entwicklung
-
Maria Pfeiffer
Raumgestaltung
-
Katharina Simons
Assistenz
-
Hannes Jakob
Licht
-
Klaus Lukas
Technikteam Künstlerhaus , Technische Leitung