Architektur hören

Das Projekt „Architektur hören“ untersucht die akustische Erfahrbarkeit von Raumstrukturen durch ein Zusammenspiel aus experimenteller Annäherung und wissenschaftlicher Methodik. Klang wird dabei neben der Visualität als Gestaltungsmittel verstanden, das auf den architektonischen Entwurf einwirkt und somit die Konzeption von Gebäuden und Räumen maßgeblich beeinflusst.

Foto: Lukas Pürmayr

Seminare und Workshops Wintersemester 2019/2020

In der hochschulübergreifenden Zusammenarbeit zwischen der Fakultät Architektur der Technischen Hochschule Nürnberg und der Klasse Dynamische Akustische Forschung (DAF) der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg wurde die Frage nach auditiven Qualitäten von Architekturen multisensorisch untersucht. Die Impulsvorlesungen, kuratiert von Milan Ther und Nele Jäger, und Kurzsymposien, u.a. mit Sam Auinger, Nicole L’Huillier und Louis Chude-Sokei, öffneten das gesamte inhaltliche Deutungsspektrum der Ausgangsfrage. Das Seminar „Raum und Klang“, das von Prof. Carola Dietrich gemeinsam mit Dr. Mark Kammerbauer entwickelt und abgehalten wurde, untersuchte historische sowie künstlerische Bezüge zwischen Architektur und Klang und initiierte in einem experimentellen Entwurfseminar diverse Perspektiven auf die akustischen Fragestellungen von Stadtraum und Architektur. Das Ergebnis der Zusammenarbeit spiegelt sich in der vielfältigen Bandbreite an Ideen, Experimenten und Formaten wider, die sich in der gemeinsamen Zeit entwickelt haben.

Foto: Dynamische Akustische Forschung, AdBK Nürnberg
Foto: Dynamische Akustische Forschung, AdBK Nürnberg

Sound, Architecture, Art, Agencies

Nicole L’Huillier

Vortrag und offener Workshop im Pavillon24 der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg: Nicole L’Huillier, PhD Research Assistant im MIT Media Lab, arbeitet zu Wahrnehmung von Sound und Raum sowie der Interaktion zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz. Auch die auditive Wahrnehmung und die Gestaltung von sozialen Räumen sind wichtige Teile ihrer Recherchen. L’Huillier stellte den Studierenden ihre Arbeit am MIT Media Lab vor.

Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave

Akustische Erforschung des Reichsparteitaggeländes

Louis Chude-Sokei und Prof. Jan St. Werner

Während es bei dem Architektur-Hören-Symposium im Sommer 2019 um die direkte Erfahrung auditiver Wahrnehmung in architektonischen Umgebungen und um die Komplexität des Sehens in der postmodernen Zeit ging, wurde bei den beiden Veranstaltungen am 4. und 5. Dezember 2019 die Frage nach dem Zusammenhang von Klang, Raum und Identität diskutiert. Louis Chude-Sokei, Professor für African American Studies an der Boston University, hinterfragt und re-kontextualisiert mit seinem Projekt „Echolution“ Aufnahmen von kolonialen und rassistisch geprägten Archiven. In seiner Arbeit erfasst er soziale Räume und Strukturen historischer Traumata. Mit den Studierenden beging Louis Chude-Sokei das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, um gemeinsam die vorhandene Architektur systematisch klanglich zu aktivieren. In dem darauffolgenden Seminar wurden Fragen nach dem Zusammenhang von Klang, Raum und Identität verhandelt. Es sprachen Prof. Louis Chude-Sokei, Prof. Jan St. Werner, Prof. Carola Dietrich und Dr. Mark Kammerbauer.

Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave

„Sampling“ und „Klang und Raum“

Prof. Carola Dietrich und Dr. Mark Kammerbauer

Im Fokus der Betrachtungen des Seminars „Klang und Raum“ an der Technischen Hochschule Nürnberg stand das Zusammenwirken der beiden Größen in den Werken herausragender Protagonist*innen der Klangkunst, der Architektur und angrenzender Disziplinen wie dem Film. Ein besonderes Interesse galt auch der Tradition gebauter Klangräume in vernakulären wie geplanten Architekturen. Darüber hinaus wurden strukturelle Analogien in der Musik und der Architektur herausgearbeitet – wie auch die Parallelen im methodischen Vorgehen zwischen Architekt*in und Komponist*in anhand von beispielhaften Übersetzungen von Raum in Komposition und umgekehrt.

Im Seminar „Sampling“ erforschten die Teilnehmer*innen die Kulturtechnik des Sampelns. Ziel war es, die Übersetzung der gewonnenen Erkenntnisse und Methoden aus einer anderen Disziplin auf den Entwurfsprozess der Architektur zu übertragen. „Why don’t you cross a flower with a tank?“, fragt der renommierte Architekt Rem Koolhaas. In seinem Zitat beschreibt er einen wegweisenden konzeptionellen Impuls und verweist auf eine Methode, wie durch die (Re-)Kombination von Bestehendem etwas originär Neues geschaffen wird.

Diese Methode findet sich auch in den Arbeiten der Situationistischen Internationale, z.B. in dem Projekt „Naked City“ von Guy Debord aus dem Jahr 1957. Hier werden Zonen verdichteter Erlebnisintensität aus einem touristischen Stadtplan von Paris herausgelöst und zu einer neuen, sogenannten psychogeografischen Karte zusammengefügt. Zeitgleich und in engem freundschaftlichen Kontakt zur Situationistischen Internationale entwickelte der französische Komponist Pierre Schaeffer in den frühen 1950er-Jahren die „musique concrète“ – eine Kompositionstechnik, die auf eine traditionelle Notation verzichtet und stattdessen Alltagsgeräusche als musikalisch wertvoll definiert; diese werden erstmals auf Tonband aufgenommen, fragmentiert und zusammengefügt: Die Methode des „Sampling“ war geboren. Die analoge Tonbandtechnik bildete die Basis des Sampling und hatte großen Einfluss auf die elektronische Musik. Komponisten wie John Cage oder Brian Eno und David Byrne (in ihrem legendären Album „My Life in the Bush of Ghosts“ aus dem Jahr 1981) führten Schaeffers Methode in ihren Werken fort. Das Album gilt als Meilenstein der Weltmusik und der Popularisierung des Samplings.

Mit dem Hip Hop vollzog sich schließlich der kommerzielle Durchbruch des Sampling, verbunden auch mit der Frage nach dem Urheberrecht und der künstlerischen Legitimation des Kopierens von Einzelelementen aus einer Gesamtkomposition. Das Album „Endtroducing“ von DJ Shadow aus dem Jahr 1996 war das erste Album, das nur aus Samples bestand. Heute verstehen wir unter Sampling ein hoch produktives und vergleichsweise junges künstlerisches Verfahren. Die Seminarteilnehmer*innen diskutierten, ob sich das Sampeln auch auf den architektonischen Entwurfsprozess übertragen lässt.

Symposium Sommersemester 2019

Gäste: Sam Auinger, Nicole L’Huillier, Milan Ther

Prof. Jan St. Werner und Prof. Carola Dietrich realisierten ein Symposium, das sich in Theorie und Praxis mit der akustischen Wahrnehmung von architektonischen Umgebungen befasste. Gemeinsam mit Studierenden beider Hochschulen setzten sie sich mit der Akustik von Institutionen und öffentlichen Räumen in der Stadt Nürnberg auseinander.

Foto: Lukas Pürmayr

Die Opazität von Transparenz – Sehen und Sichtbarkeiten der Moderne

Milan Ther & Nele Jäger, Tiergarten Nürnberg, Nashorngehege

Das Symposium begann mit einer Sitzung im Nashorngehege des Nürnberger Zoos. Unter dem Titel „Die Opazität von Transparenz – Sehen und Sichtbarkeiten der Moderne“ beschäftigte sich die Lesung mit den Bedingungen des Sehens von der Weltausstellung 1851 bis hin zu den visuellen Regimes des folgenden Jahrhunderts, die durch Bildsprache ideologische Auffassungen transportierten. Hier verwebt sich vor allem der Imperialismus mit Universalismen als Wurzel einer weitgreifenden eurozentrischen Neuorganisation der Welt. Die Gruppe las gemeinsam Donald Preziosis Text „The Crystalline Veil and the Phallomorphic Imaginary“ (2001) sowie Roland Barthes‘ „Zuhören als Haltung“ (1964), die in Verbindung mit der unmittelbaren Umgebung des Zoos diskutiert wurden. Während der Sitzung befasste sich die Gruppe, die sich inmitten des Tiergeheges befand, (unter Beobachtung des irritierten Tierparkpublikums) mit den Blickrichtungen im Zoo, die auch durch architektonische Strukturen vorgegeben sind.

Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave
Foto: Lisa Rave

Sonic Commons: Soundwalk / Architektur Hören

Sam Auinger, Neues Museum Nürnberg

Der Künstler und Klangforscher Sam Auinger kam auf Einladung Jan St. Werners nach Nürnberg. Die Themenfelder seines Vortrags und der anschließenden Listening Session waren: experimentelles Hören und spielerisches Beobachten akustischer Vorgänge in Räumen und an öffentlichen Plätzen, die Entdeckung neuer künstlerischer Möglichkeiten durch die Sensibilisierung für akustische Bewegungen im Raum, kollektives Forschen, Improvisieren und Komponieren, visuelles Hören und akustisches Sehen. Vor allem dem auditiven Verständnis von Architektur und dem Bewusstmachen unserer akustischen Orientierung wurde in diesem Kurzseminar Aufmerksamkeit geschenkt.

Projektbeteiligte:

  • Prof. Jan St. Werner

    Akademie der Bildenden Künste Nürnberg

  • Prof. Carola Dietrich

    Technische Hochschule Nürnberg, Fakultät Architektur

  • Michael Akstaller

    Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, künstlerischer Mitarbeiter

  • Dr. Mark Kammerbauer

    Technische Hochschule Nürnberg, Fakultät Architektur

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