AR-Performance: Phantom Zone
„Vor Neugierde brennend, rannte Alice dem weißen Hasen nach, und kam noch zur rechten Zeit, um ihn in ein großes Loch unter der Hecke schlüpfen zu sehen. Im nächsten Augenblick war sie ihm nach in das Loch hineingesprungen, ohne zu bedenken, wie in aller Welt sie wieder herauskommen könnte.“
Am Abend des 16. November versammelten sich 50 Neugierige am Künstlerhaus im KunstKulturQuartier Nürnberg, um den Spuren von Alice im Wunderland zu folgen. Ein digitaler weißer Hase, mithilfe einer Augmented-Reality-App in die (scheinbar) reale Welt integriert, führte sie knapp 150 Meter vom Künstlerhaus über die Königstormauer zu den Toren der St.-Martha-Kirche. Im Inneren erwartete die Besucher*innen die „Phantom Zone“: eine frei begehbare, interaktive Installation und Performance an der Schnittstelle zwischen real und virtuell, analog und digital. Drei Live-Darsteller prägten den Abend. Neben dem professionellen Tänzer Johannes Walter und dem Bühnenschauspieler Max Rohland gab Pepper sein Debüt – ein humanoider Roboter, dem von Simon Seibt (Technische Hochschule Nürnberg) Leben eingehaucht wurde.
Regie führten jedoch die Besucher*innen selbst: Mithilfe einer Augmented-Reality-App hatten sie die Möglichkeit, die Realität – so wie sie auf dem eigenen Display ihres Smartphones oder Tablets erschien – zu verändern, zu ergänzen oder gar auszutauschen – und so zu Schöpfer*innen ihrer eigenen Realität zu werden. Dazu wurden sogenannte „Marker“ eingesetzt, welche der APP sowohl die Position des virtuellen Objekts mitteilte, als auch inhaltlich abgestimmte Funktionen freischalteten. Die Besucher*innen und Darsteller bewegten sich dabei frei durch eine surreale Traumwelt von Maria Pfeiffer aus Goldenen Ballons und aufblasbaren Schwimm-Inseln.
Die digitale Wahrnehmung des menschlichen Körpers stand im Fokus der Performance. Denn unsere digitalen Augen lügen: Trotz Smartphone-Kameras, die unseren Gesichtszüge automatisch und ohne unser Wissen hin zu mehr Symmetrie optimieren, und Apps, die unser digitales Erscheinungsbild als Objekt ständiger Perfektionierung begreifen, bleibt unser realer Körper immer erhalten. Nur als was? Als reine Fehlerquelle oder – im Angesicht dieses religiösen Ortes – doch von Natur aus perfekt? Die Performance wurde zur Assoziationsfläche für die Besucher*innen und thematisierte den gesellschaftlichen Umgang mit menschlichen Schwächen, Fehlern und dem Scheitern. Die Zuschauer – besser noch: die Regisseure – verfolgten und inszenierten zugleich eine intensive körperliche Tanzperformance.
Über Image Marker, die immer wieder neue Funktionen der App freischalteten, konnten sie die Performance individuell verändern und damit auch ihren Blick auf die körperbetonte Performance der beiden Darsteller. Typisch digital: Die Meta-Ebene des Stücks war dank der APP immer mit dabei: Auf Knopfdruck konnten sich die Besucher*innen jederzeit von den Darstellern ihre ganz persönliche Interpretation ansehen: Second Screen lässt grüßen. Dass es nicht nur diese menschliche Perspektive zu Kunst und Leben gibt, verdeutlichte der nächste Akt: Pepper, der humanoide Roboter predigte seine ganz eigene Sicht auf Menschlichkeit und Intelligenz und zeigte sich dabei ebenfalls als Charakter – spätestens, als er zu fluchen begann. Was ist ein Körper? Was macht einen Menschen zum Menschen und eine Maschine zur Maschine? Diese Fragen will „Phantom Zone“ nicht beantworten, vielmehr lässt es die Grenzen weiter verschwimmen. Der Schlussakkord hätte passender nicht sein können: Zunächst in düster-sphärischen, dann in hymnischen Tönen setzten die Darsteller zum Song „Circle of Life“ an und schlossen damit den Kreis und das Stück.
Initiiert und entwickelt wurde „Phantom Zone“ von den beiden Lehrbeauftragten Alexandra Rauh und Gunnar Seidel in Zusammenarbeit mit LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation. Studierende der Hochschule für Musik Nürnberg und der Technischen Hochschule Nürnberg kooperierten für einen konzeptionellen und funktionalen Handschlag aus Tanz, Theater und Technik. So entwickelten beispielsweise Studierende aus dem Masterstudiengang Medieninformatik der Fakultät Informatik die Augmented-Reality-App, welche die Manipulation der realen (wenn auch surreal anmutenden) Traumwelt von Maria Pfeiffer, Miho Kasama und Eva Eidinger erlaubte.
Konzept und Choreografie:
Alexandra Rauh (HfM)
Konzept und Text: Gunnar Seidel (HfM)
Mit: Johannes Walter und Max Rohland
Kostüm & Ausstattung: Eva Eidinger
Videokunst: Miho Kasama
App-Entwicklung: Ilja Baumann, Natalie Greß, Matthias Hauptner, Deborah Irnstorfer (TH)
Roboter-Programmierung: Simon Seibt (TH)
Sounddesign: Jan Pfitzer (HfM/LEONARDO)
Raumgestaltung: Maria Pfeiffer
Assistenz: Katharina Simons
Koordination: Sebastian Trump (HfM/LEONARDO)
Licht: Hannes Jakob
Technische Leitung: Klaus Lukas und das Technikteam Künstlerhaus
Eine Koproduktion mit dem Künstlerhaus im KunstKulturQuartier Nürnberg und LEONARDO – Zentrum für Kreativität und Innovation. Gefördert von der Stadt Nürnberg, unterstützt von der St. Marthakirche Nürnberg sowie der Tanzzentrale der Region Nürnberg e.V. Diese Veranstaltung wird außerdem ermöglicht durch den Bayerischen Landesverband für zeitgenössischen Tanz (BLZT) aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst.